10 Dez Auf Feuerspuren durch Europas unbekannten Südosten
Europa Zentral beim Erzählfestival Feuerspuren
Das Erzählfestival Feuerspuren lockte am 3. November 2019 zahlreiche Besucher*innen nach Gröpelingen. Passend zum Motto „Um die Ecke“ hatte auch Europa Zentral ein Erzählzelt um die Ecke zum Liegnitzquartier aufgeschlagen. Bereits zum zweiten Mal beteiligte sich das Projekt mit einer eigenen Erzählstation. „Dies ist eine andere Welt“, warnten Elif Patarla und Lutz Liffers ironisch vor dem urbanen Dschungel rund um den Liegnitzplatz. Woanders mag man Müsli und Vollkorn frühstücken. Hier gibt es Kekse mit dicker Schokoladenglasur, „Kinder-Frühstück“ genannt, die man sich vom Kiosk holt.
Aber im Ernst: Jenseits vieler Vorurteile wissen wir recht wenig über Süd- und Osteuropa und der Türkei, den Regionen, in denen die meisten Bewohner*innen des Liegnitzquartiers ihre Wurzeln haben. Mit Klebezetteln markierte Elif Patarla auf einer Karte Stationen ihres Lebens und erzählte aus der Sicht einer Heranwachsenden ihre bulgarisch-türkisch-deutsche Geschichte. Sie erzählte von der Kindheit in Yablanowa, wo eine Großmutter auf alle Kinder der Straße aufpasste, dem Umzug in einen zugigen Plattenbau bis zur erzwungenen Auswanderung in die Türkei. Warum wanderte Elifs Familie aus? Ende der 1980er Jahre startete Präsident Schiwkow eine „Bulgarisierungskampagne“ und zerstörte damit die bulgarische Vielfalt der Minderheiten. 600 000 muslimische Bulgar*innen erhielten neue Namen und durften ihre türkische Muttersprache nicht mehr sprechen, Moscheen wurden geschlossen, wer sich wehrte, wurde verhaftet. Über 300.000 Bulgar*innen flohen in die benachbarte Türkei.
Aus Elif wurde Emilia. Aber eine gute Schülerin blieb sie trotzdem. In ihrem Schulzeugnis sind lauter Sechsen – in Bulgarien die beste Note. Die Zuhörer*innen staunten, verspeisten die letzten Krümel „Kinder-Frühstück“ und waren sich einig: Im Liegnitzquartier wartet nicht nur ein unbekanntes Land, noch entdeckt zu werden.
Ps. Europa Zentral lädt alle Interessierten ein, bei den regelmäßigen Liegnitzwalks das Quartier zu entdecken, mit Bewohner*innen ins Gespräch zu kommen und die schönen Gesichter der Stadt zu erleben.